Oktober 1

Ein persönliches Projekt der schwersten Art

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Projekte sind eigentlich immer fordernd und herausfordernd, sonst wären es keine Projekte.
Oft sind auch viele Emotionen und heftige „Menschen-Faktoren“ dabei.

In meinem langen Berufsleben habe ich viele schwierige Projekte durchgeführt, von der technischen Art und von der Sozialkompetenz her, aber dieses war bisher mein schwierigstes Projekt: der Sterbefall meines Vaters.

Der Projektstart kam Ende Juli mit der Diagnose „Krebs im fortgeschrittenen Stadium“, das Projektende war zwar absehbar aber ungewiss. Projektziel war, dem Patienten nach seinen Wünschen die restliche Zeit noch möglichst schön zu machen.

Der wichtigste Stakeholder war der „Auftraggeber“  – mein Vater.

Es galt also, seine Wünsche in einem persönlichen „Lastenheft“ festzuhalten und möglichst zügig umzusetzen. Die Tagesziele wurden mit der Anleitung des Palliativ-Arztes gesetzt: Maß aller Dinge war der Patient und das Tagesziel war erreicht, wenn der Patient den Tag als einen guten Tag wahrgenommen hatte. Darauf wurde das ganze Team eingeschworen – von der Krankenschwester, über die Familie bis zu den Nachbarn.

Und da haben mir tatsächlich die guten bewährten Methoden des Projektmanagements geholfen, nichts zu vergessen, alles in der richtigen Reihenfolge umzusetzen und vor allem Nerven zu behalten und sich nicht am liebsten heulend in die Ecke zu setzen: Es galt also zuerst das elektrisch verstellbare Patientenbett zu bestellen, dann zu installieren, dann die richtige Pflegeagentur auszuwählen und eine Vollzeit-Krankenschwester aus Ungarn kommen zu lassen, dann den Patienten-Alarm zu besorgen und die Schwester darin einzuweisen und dann den Patienten vom Roten Kreuz aus dem Klinikum in die häusliche Pflege „anliefern“ zu lassen. Das war der kritische Pfad.

Parallel dazu mussten Lieferverträge mit der Apotheke für Medikamente, mit dem lokalen Laden für Lebensmittel und Getränke, mit der Krankengymnastin für regelmäßige Physiotherapie und mit dem Arzt für regelmäßige Patientenbesuche ausgemacht werden. Für die Familie wurde ein Kommunikationskanal mit Berichtswesen etabliert, ein WhatsApp Chat unter dem Motto „Carpe Diem“,  in dem täglich über den Zustand des Patienten und die erreichten Tagesziele berichtet wurde. Alle Kontakte, Absprachen, Zusagen und Absagen habe ich minutiös in einem Projekttagebuch festgehalten.

An einem Nachmittag, als wir von seinem Wohnort an der Schweizer Grenze wieder mal kurz nach Hause nach Bamberg fahren wollten, um einige liegengebliebene Sachen zu erledigen, hatte mich mein Vater bei der Abschiedsumarmung lächelnd aber mit Tränen in Augen angeschaut und hat nur ein Wort gesagt „Danke“. Am nächsten Tag ist er gestorben.

Das war das Projektende.

Das Ganze intensive Projekt hatte knapp zwei Monate gedauert. Allerdings wird uns die „Liste offener Punkte“ noch einige Zeit beschäftigen: Nach der Trauerfeier den Nachlass regeln, alle Rechnungen bezahlen, Mitgliedschaften und Abonnements kündigen, das Haus ausräumen und verkaufen.

Halt! Und was waren die Gelernten Lektionen? Ja, auch die haben wir festgehalten. Während der Heimfahrt nach der Trauerfeier hatten wir darüber ein intensives Gespräch mit meinem Mann: wir werden unsere Patientenverfügungen präzisieren, denn da gibt es noch einige Graubereiche, die uns nicht bekannt waren, wir werden jetzt schon unsere Wünsche und Vorstellungen für unser „Projektende“ und vor allem alle Mitgliedschaften, Abos und Verpflichtungen in einem (elektronischen) Ordner festhalten, damit es unsere „Projektleiter“ mal nicht so schwer haben. Und wir fangen an, liebgewonnene Bücher, Kunstgegenstände und andere Preziosen an liebe Menschen zu verschenken, damit sie nicht am Ende nicht alle in die Tonne kommen müssen.

Ich hoffe, dass mein Vater, wo immer er jetzt auch ist, mit dem Projekt zufrieden war.


Tags

Agile, PM


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